Bernadette Simml eröffnet eine Praxis als Psychotherapeutin
Bernadette Simml hat lange Jahre im technischen Bereich gearbeitet. Im Interview erzählt sie wieso sie sich beruflich verändern musste, was ihr dabei geholfen hat und wie sie es geschafft hat sich neu zu erfinden.
Wien Work: Bitte stellen Sie sich vor?
Mein Name ist Bernadette Simml und ich arbeite als systemische Psychotherapeutin. Das bedeutet, ich betrachte den Menschen nicht als einzelnes Individuum, sondern immer im Zusammenhang mit der Familie, dem sozialen Umfeld, der Arbeit und Freunden. Es ist weniger ein in der Vergangenheit „rumgraben“, sondern hauptsächlich arbeite ich mit meinen Klient*innen im Hier und Jetzt, Lösungs- und Zukunftsorientiert. Dort liegt der Fokus meiner Arbeit.
Wien Work: Stellen Sie Ihre Arbeit als Psychotherapeutin bitte vor?
Die Schwerpunkte meiner Arbeit liegen im Einzelsetting, aber ich arbeite auch gerne mit Paaren. Mögliche Themen können zum Beispiel Angst, Depression und chronische Erkrankungen sein. Auch das Thema Lebensumbruchsphasen betrifft viele. Das sind Phasen, die z.B. durch den Tod eines nahen Angehörigen oder andere plötzlich auftretende Lebensereignisse ausgelöst werden und man findet nicht den Zugang zu den eigenen Ressourcen, um damit umzugehen. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch die Ressourcen in sich trägt, um mit diesen Situationen zurecht zu kommen. Nur manchmal ist der Weg verschüttet und die Therapie kann helfen diese Steine aus dem Weg zu räumen oder einen neuen Weg zu finden, um wieder in die eigene Kraft zu kommen. Jede Therapie ist individuell, weil jede*r was anderes braucht. Ich arbeite gerne mit Menschen und unterstütze sie auch gerne dabei wieder in ihre Kraft zu kommen und ihr Potential zu entdecken, damit es ihnen auch wieder besser geht.
Wien Work: Wieso wollten Sie sich selbständig machen?
Ursprünglich bin ich Sozialarbeiterin und habe mich schon während meiner Ausbildung sehr für technische Dinge interessiert. Als Studentenjob bin ich bei MaxMobil (heute Magenta) in einer technischen Abteilung gelandet und habe die Hotline übernommen. Als ich meine Ausbildung zur Sozialarbeiterin abgeschlossen habe, wurde mir dort ein Job angeboten. Im Bereich Bewährungshilfe und Drogenarbeit galt damals ein Aufnahmestopp und so bin ich eigentlich durch Zufall in den technischen Bereich reingerutscht. Die HTL für Nachrichtentechnik habe ich dann berufsbegleitend nachgeholt. Später habe dann weltweit Kommunikationsanlagen für Polizei, Feuerwehr und das Militär aufgebaut und war dadurch viel in der Welt unterwegs.
Im Rahmen eines Sabbaticals im Jahr 2013 habe ich alleine eine Wanderung durch die Nordalpen gemacht. Damals wusste ich noch nicht, dass ich an einer Lungenerkrankung leide. Erst bei der Heimkehr wurde im Spital bemerkt, dass ich krank bin. Ab diesem Zeitpunkt ist es auch so richtig losgegangen mit Operationen und weiteren Lungenkollapsen. Meine Erkrankung hat mich aus dem Arbeitsleben gerissen.
Seit 2015 hat sich mein Zustand stabilisiert. Ich hatte schon vorher mit dem Gedanken gespielt mich zu verändern. Die Krankheit war dann die Initialzündung und hat mir den Ausstieg und die Neuorientierung ermöglicht. Vorher habe ich mich mit folgenden Fragen auseinandergesetzt: Was kann ich noch machen, wenn ich Sauerstoff benötige? Fliegen ist nicht möglich, kalte Serverräume sind für die Lunge nicht gut, Menschenansammlungen soll ich meiden. Was kann ich dann noch Sinnvolles tun, wenn es schlimmer wird? Dann war der Weg für mich schon klar, in welche Richtung es gehen wird und der Kreis hat sich für mich wieder geschlossen. Ich habe die Umschulung zur Psychotherapeutin begonnen.
Wien Work: Wie haben Sie den Weg in die Selbständigkeit erlebt?
Ich bin dankbar für die Umschulungsmaßnahmen, die ich nutzen konnte. Im Rahmen der beruflichen REHA wurde die Ausbildung teilweise von der PVA finanziert. Ich habe es allerdings als schwierig und mühsam erlebt die drei Stellen AMS, PVA und GKK zu koordinieren, weil zahlreiche Meldepflichten einzuhalten waren.
Wien Work: Wie erleben Sie die Selbständigkeit?
Ich brauchte etwas, wo ich mich selbst besser einteilen kann und auf meine Bedürfnisse Rücksicht nehmen kann. Gleichzeitig war es mir immer wichtig eine Arbeit auszuüben, die ich als sinnstiftend erlebe.
Meine Gründung war ursprünglich im Jahr 2020 geplant, musste aber wegen der Pandemie um fast zwei Jahre verschoben werden. Die Situation war total schwierig für mich, weil ich nicht wusste, was da auf uns zukommt und ich eigentlich schon in den Startlöchern stand. In den Nachrichten wurde die Erkrankung sehr negativ und als gefährlich dargestellt und ich war mit meiner Vorerkrankung besonders gefährdet. Daher habe ich mich dann entschlossen zu warten und die Gründung zu verschieben.
Durch meine Reisen war ich immer viel allein unterwegs. Ich habe es dabei gelernt mich selbst zu organisieren. Das war ich bereits gewohnt und war für mich keine große Umstellung. Jetzt ist die Herausforderung einen ausreichend großen Klient*innenstamm aufzubauen. Da ich nicht die große Verkäuferin bin, stellt das gerade mein größtes Lernfeld dar. Ich habe mein Angebot und denke mir die Leute sollen kommen und sich ein Bild von meiner Arbeit machen. Wenn es ihnen gefällt, dann kommen sie eh wieder.
Die wirtschaftliche Unsicherheit mit steigenden Preisen und den laufenden Kosten, die ich finanzieren muss, erlebe ich auch als herausfordernd. Ich bin da eigentlich ins kalte Wasser gesprungen und hatte noch keinen ausreichenden Klient*innenstock um mich selbst zu versorgen.
An der Akquise bin ich auch schon dran, aber das braucht viel Überwindung. Als Selbständige hast du viele Berufe: du musst dich um Datenschutz kümmern, um die Buchhaltung, Marketing, Akquise, Vertrieb und dann muss ich noch eine gute Therapeutin sein. Als EPU (Einpersonenunternehmen) muss man viel Energie auf andere Dinge legen und kann vielleicht auch das Kerngeschäft aus den Augen verlieren.
Wien Work: Was sind Ihre Pläne für die nächsten 3 Jahre?
Schön wäre, wenn ich 15 Klient*innen pro Woche erreiche, dann kann ich von meiner Praxis leben. Dass ist mein Ziel für dieses Jahr. Das ist auch eine Workload, die ich körperlich schaffen kann.
Wien Work: Was war die größte Herausforderung, die Sie zu meistern hatten?
Den Schritt aus der finanziellen Absicherung heraus zu wagen und auf mich allein gestellt zu sein und darauf zu vertrauen, dass es klappen wird. Das auszahlten war für mich schwierig. Ich werde in meinem Umkreis immer wieder gefragt was ich mache und wie viele Klient*innen ich habe, dann bekomme ich das Gefühl mich erklären und rechtfertigen zu müssen. Es war auch ein Lernprozess einfach zu sagen ich arbeite und nicht immer aufzuzählen was ich schon alles geleistet habe. In Gesprächen mit anderen Personen bin ich draufgekommen, dass mir das nicht guttut.
Wien Work: Haben Sie Tipps für andere Gründer*innen?
Mein Tipp an alle Neugründer*innen wäre den Fokus auf das Hauptgeschäft nicht zu verlieren mit den vielen Dingen, die man noch rundherum erledigen muss. Das ist in meinem Fall die Arbeit an und mit den Klient*innen. Ich halte es für sehr wichtig hier die Gewichtung richtig zu legen. Man kann Stunden damit verbringen die Homepage zu entwerfen und zu verbessern. Aus meiner Sicht ist es wichtig den ersten Schritt zu machen, einfach mal rauszugehen und das Angebot zu veröffentlichen und dann Schritt für Schritt weiterzugehen. Im Prozess werden viele Fragen beantwortet und die Richtung und der Weg werden klarer.
Ein Sprichwort, das mir in diesem Zusammenhang gefällt ist: „Mut wird immer größer, je häufiger man ihn benützt“. Angst ist ein guter Indikator für Entwicklungsmöglichkeiten und Potentiale. Wenn man es nicht probiert hat, dann findet man auch niemals heraus, ob es klappt oder nicht. Ich bin dann irgendwann draufgekommen, dass es für mich viel schlimmer gewesen wäre, es nicht probiert zu haben. Das perfekt sein und die hohen Ansprüche, die wir an uns richten hemmen uns da gerne in unserer Entwicklung.
Wien Work: Wie haben sie die Unterstützung der Gründungsberatung erlebt?
Die Gründungsberatung habe ich auch als sehr hilfreich erlebt. Ich bin durch das AMS mit WienWork in Kontakt gekommen und es war schön zu erfahren, dass es jemanden gibt, der mich versteht und weiß um was es geht. Mit der Unterstützung von WienWork bin ich ins Gründungsprogramm vom AMS gekommen, das ich als sehr unterstützend und wertvoll erlebt habe.
Das Online-Seminar im Herbst 2021 zum Thema „Digitalisierung – Chancen und Risiken für Unternehmer*innen mit Behinderung“ hat mich bestärkt. Es war schön zu sehen wie es andere Menschen mit Behinderungen schaffen selbständig zu sein und sie auch ihre eigenen Herausforderungen meistern.
Weitere Informationen zu Frau Simml und ihren Leistungen als Psychotherapeutin finden Sie auf ihrer Homepage unter https://www.praxis-simml.at/.